18 May 1998
Source: http://focus.de/F/X/x.htm (See: Wirtschaft, Betrug).
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Illegale Importe aus Holland
Hacker aus den Niederlanden verkaufen neuaufgeladene Chips. Der Telekom entsteht ein Schaden von bis zu 60 Millionen Mark

Hektische Betriebsamkeit herrscht derzeit unter Sammlern von Telefonkarten. In Kellern und auf Dachböden stöbern sie nach abtelefonierten Standardausgaben, die bisher bestenfalls für fünf Pfennig zu verkaufen waren.

Galoppierende Inflation: Mittlerweile aber schoß der Preis auf über eine Mark pro Stück. Wer die Karten im Tausender- oder Zehntausender-Pack liefert, erhält bis zu drei Mark.

Hinter dem Preisanstieg steckt eine großangelegte Betrugsmasche: Vor einem halben Jahr entschlüsselten Hak-ker in den Niederlanden den Code des Telefonchips. Damit können sie die ent-werteten Karten wieder aufladen. Da sich gefälschte Karten nicht vom Original unterscheiden, werden sie zu Millionen an ahnungslose Verbraucher verkauft - ganz normal am Kiosk.

Gefälschte Karten: Am Datum zu erkennen

An Kiosken und Tankstellen werden die illegalen Importe häufig verkauft. So identifizieren Sie die in den Niederlanden wiederaufgeladenen Telefonkarten:

Genau unter die Lupe nehmen sollten Sie nicht original verpackte Karten. Achten Sie auf Gebrauchsspuren und vor allem auf das Herstellungsdatum. Produktionsmonat und -jahr stehen auf dem Rand der Telefonkarte. Echte Karten tragen ein relativ aktuelles Datum.

Kaufen Sie größere Mengen nur in der Originalverpackung der Telekom. Die 12-Mark-Karten werden in 20er Päckchen, die zu 50 Mark in Gebinden zu jeweils zehn Stück abgegeben.

Funktionieren Telefonkarten nicht, wen-den Sie sich an die Telekom. Ist die Karte echt, wird sie problemlos umgetauscht. Handelt es sich um eine wiederaufgeladene Karte, muß der Kunde den Verlust abschreiben.

Nach 99 Monaten werden Telefonkarten unbrauchbar. In diesem Jahr sind die Karten aus dem Jahr 1990 an der Reihe.

Geschädigter ist in erster Linie die Telekom, die für ihre Leistungen keinen Pfennig erhält. Doch auch ihre Kunden müssen büßen: Um den Schaden so gering wie möglich zu halten, hat der Telefonriese Tausende Kartentelefone in Großstädten für Gespräche ins Ausland oder mit teuren 0190-Diensten gesperrt.

Die kriminellen Geschäfte mit den Recycling-Karten betreiben eher zwielichtige Gestalten aus den Niederlanden. Sie kaufen systematisch auf Sammlermärkten die leeren Karten auf, offerieren ungeniert in Magazinen wie "Telefon-Karten-Journal" und "Sherlock" Spitzenpreise für Massenware.

Die leeren Karten karren sie in das Nachbarland, wo sie wieder aufgeladen werden. Wer mag, so plaudert Aufkäufer Thomas N. aus dem Nähkästchen, "kann dort nicht nur die aufgefüllten Karten, sondern auch die dazu erforderliche Hard- und Software für einige zehntausend Mark beziehen". Betroffen sind seit September 1995 mit dem Eurochip 1 von Siemens ausgerüstete Telefonkarten - etwa 200 Millionen Stück mit einem Wert von je zwölf oder 50 Mark. Erkennungszeichen: der Pfeil in der Telekom-Farbe Magenta. Pikant: Diese Chipgeneration galt bislang - so Telekom-Vorstand Gerd Tenzer - als "nicht zu entschlüsseln".

Den Ehrgeiz der Hacker scheint das herausgefordert zu haben, denn sie konzentrierten ihre Angriffe auf dieses Modell. Mit entsprechender Software läßt es sich in zwei Sekunden wieder aufladen. Bei älteren Chips dauert der Ladevorgang sieben Minuten. Besonders leicht fällt das Füllen bei der 12-Mark-Karte - sie ist selbst für Fachleute vom Original nicht zu unterscheiden.

Das Aufladen der 50-Mark-Karte ist schwieriger - sie wird nur noch 41 bis 46 Mark wert. Deshalb können die Fälscher sie nur unter der Hand vertreiben - zu einem Verkaufspreis von 19,50 Mark.

Die 12-Mark-Karten dagegen verkaufen sie über regelrechte Vertriebsorganisationen an Kioskbesitzer, Tankstellenbetreiber und Tabakwarenhändler. Ulrich Riebeling, Chef der Mülheimer Filiale des Kartengroßhändlers Tobaccoland, berichtet von Versandangeboten aus den Niederlanden - mit offizieller Rechnung.

Etwa 200 Millionen Telefonkarten können illegal aufgeladen werden
- geschätzter Schaden: 60 Millionen Mark

Verlockende Preise. Dabei kostet bei den Fälschern eine 12-Mark-Karte zwischen sechs und neun Mark. Die autorisierten Großhändler verlangen elf Mark und mehr. Entsprechend verlieren sie an Geschäft: Bei der Mönchengladbacher Tobaccoland, die Karten im Wert von 300 Millionen Mark an Kioske verkauft, sank der Absatz in den vergangenen Monaten im Schnitt um knapp zehn Prozent.

Bernd Neifer, Chef des gleichnamigen Oberhausener Großhändlers, der bundesweit 25 000 Verkaufsstellen beliefert, klagt gar über "Umsatzrückgänge bis zu 25 Prozent". Klaus Ott, Sprecher des Verbandes der Deutschen Tabakwaren-Großhändler, rechnet in diesem Jahr mit einem "um 60 Millionen Mark" rückläufigen Geschäft.

Hilflose Polizei. Die Kölner Kripo nahm kurz vor Ostern drei Händler fest, die in Aachen einige hundert Telefonkarten verkaufen wollten - "wiederaufgeladen, das wurde technisch festgestellt", betont Regine Appenrodt, Sprecherin der Kölner Staatsanwaltschaft. Wenige Tage später mußten die Verdächtigen wieder freigelassen werden: Bisher ist noch nicht recht klar, was ihnen vorgeworfen werden kann. Denn ein Schaden entsteht der Telekom erst, wenn die ahnungslosen Kartenkäufer telefonieren. Die Straftat selbst aber begeht, wer per Computer die Telefonkarten außerhalb der Landesgrenze auflädt. Kommentar des renommierten Strafrechtlers Peter Cramer: "Nach meiner Auffassung handelt es sich um das Erschleichen einer Leistung nach 265a Strafgesetzbuch."

Telefonkartenbörse: El dorado für Sammler

Für Kuriositäten zahlen Telefonkartenfans auf den Sammlermärkten einige tausend Mark. Durch Betrügereien stiegen auch die Preise für Standardkarten.

Etwa 30 000 Bundesbürger sammeln Telefonkarten. Sie treffen sich auf Börsen und Märkten, um rare Exemplare zu tauschen oder zu verkaufen. Der größte Fan der Republik ist der Freiburger Fahrradhändler Thomas Niehaus. Er besitzt 14 000 der 16 600 verschiedenen Karten, die bisher auf den Markt kamen.

Hohe Preise erzielen allerdings nur Ausgaben mit geringen Auflagen, Kuriositäten oder ausgefallene Motive. Als wertvollste Karte gilt derzeit ein Testprodukt aus dem Jahr 1983, für das 20 000 Mark gezahlt wurden.

Leere Standardkarten waren dagegen nahezu wertlos. Bisher brachten sie unter Sammlern nur fünf Pfennig pro Stück. Durch die Betrugsmasche stiegen die Preise mittlerweile auf über eine Mark.

Die Händler, die den Nachschub an Leerkarten übernehmen, fühlen sich angesichts der diffusen Rechtslage sicher. Thomas N., der wöchentlich Zehntausende Karten weiterreicht: "Was geht mich das an, was mit den Karten geschieht?"

Technologischer Gegenschlag. Nun will die Telekom die illegalen Deals unterbinden. Seit zwei Monaten markiert sie die Karten beim Abtelefonieren elektronisch. Damit ist eine Wiederverwendung ausgeschlossen. Ab August 1998 kommen nur noch Karten mit dem neuen Eurochip 2 auf den Markt.

Derzeit sind aber zirka 200 Millionen 12-Mark- und 50-Mark-Karten im Umlauf, die mindestens einmal aufgeladen werden können. Mit denen werden noch immer glänzende Geschäfte gemacht - wie FOCUS mit einem Testkauf beweist. Michael R. aus Bocholtz bei Maastricht lieferte FOCUS gegen Vorkasse 40 Karten zu zwölf Mark zum Preis von 7,50 Mark pro Stück. Sämtliche Karten funktionierten einwandfrei. Weder Experten von der Debis Systemhaus Information Security noch die Hacker vom Chaos Computer Club stellten Auffälligkeiten fest: "Augenscheinlich ist der Unterschied zu Originalkarten unerheblich", kommentiert Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs.

Deshalb empfiehlt Telekom-Sprecher Ulrich Lissek: "Generell ist der Kauf in autorisierten Geschäften, in T-Punkten oder Postfilialen vorzuziehen."

Hans-Peter Canibol

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